Teens (und jung gebliebene Erwachsene) Like
Für Corvin von Ravnfjell stand fest, dass er seine Heimat noch an diesem Tag verlassen musste.
Als letzter Nachkomme eines uralten Geschlechts lebte er mit seiner Mutter auf dem Stammsitz der Ravnfjeller, einer verwitterten Trutzburg im hohen Norden Norwegens. Sein Urahn hatte sie einst in den Fels gesprengt, wo sie seit tausend Jahren eisigen Stürmen und schneereichen Wintern trotzte.
Hier, am Tor zum Eismeer, ragten die schroffen Felsen der Lofoten riesig und rissig in den Himmel. Zerfressen von der Zeit erhoben sie sich aus dem eiskalten Meer, wo Pottwale das ganze Jahr über Nahrung suchten und schnaufend durch die Wasseroberfläche brachen.
Tief unterhalb der Burg lag Corvins Nordlandboot schaukelnd im Wasser, in einer Bucht an einem Eisenring vertäut, nach Teer riechend und mit Steinen beschwert für besseren Tiefgang. Er segelte leidenschaftlich gerne. Wenn die kalte Gischt sein Boot umschäumte und der stechende Wind ihm fast den Atem nahm, fühlte er sich eins mit den Elementen und rang den Wogen trotzig Seemeile um Seemeile ab, bis er sein kleines Schiff am Fuße des sagenumwobenen Trollfjords festmachen konnte.
Pete war17, als sein Dad am Suff krepierte. Es war ein grauer Tag, neblig und nass, Regen prasselte an die Scheiben. Mr Yelland unterrichtete Geschichte, ein gähnend langweiliges Fach, fand Pete. Mit schwer gewordenen Augenlidern stierte er in die Klasse und kämpfte gegen die Müdigkeit an. Hinter ihm schnarchte leise Milt Miller. Am Nebentisch hatte Charly Walker seinen Kopf in die Hände gestützt und döste mit halboffenem Mund. An den Tischen rechts von ihm wanderte ein heimlich zugeschobener Zettel aus den hinteren Reihen nach vorne zu Claire Nesbitt, die eine Zeitschrift auf dem Schoß hielt und sich Mühe gab, nicht beim Lesen erwischt zu werden. Sie saß auf Cyrils Platz.
Wie immer, wenn Pete an seinen besten Freund dachte, wurde er trübsinnig. Cyril war vor Kurzem nach London gezogen. Sein Vater arbeitete dort in einer Großbank, seine Mutter als Sozialarbeiterin in einer Kinder- und Jugendhilfe-Organisation. Zwar rief Cyril noch ab und zu bei Pete an, aber es war nicht mehr dasselbe wie vorher, als sie noch im selben Fußball-Team gespielt und für den Mirror, die Schülerzeitung, geschrieben hatten. Es klopfte. Die Köpfe flogen hoch. Milt Millers Schnarchen brach abrupt ab.
Nora von Ravnfjell stand auf dem buckelsteinigen Wehrgang und schaute über das diesige Meer. In langer Dünung liefen graue Wogen auf die Küste zu und brachen sich donnernd an den Felsen. Selbst hier oben konnte sie die Brandung hören.
Es war kalt, und der Niederschlag auf ihren Lippen schmeckte salzig. Nora zog den dicken Wollmantel enger um ihre schlanke Gestalt. Ob ich mich jemals an das Tosen gewöhne? Nie wollte das beklemmende Gefühl weichen, das sie beschlich, wenn das Meer wie heute brüllte. Aber auf der Burg fühlte sie sich sicher. Sie legte ihre Hand an die Steine und spürte trotz der Kälte eine fast zärtliche Verbundenheit.
Wie ein guter Freund, der Schutz und Geborgenheit bietet, dachte sie. Eine alte Festung, schnörkellos und vierschrötig, fest und unerschütterlich. Es müssen harte Kerle gewesen sein, die vor mehr als tausend Jahren diesen Trutzbau in das harte Gestein geschlagen haben. Eine mörderische Arbeit.